«Die Gotthard-Bergstrecke geben wir nicht mehr her»

Im Gespräch mit Bahnjournalist Peter Hummel (links): Offen über die Entwicklung und neue Projekte der SOB informierte Thomas Küchler, wohnhaft in Seewen und CEO der SOB. Bild: Josias Clavadetscher

THOMAS KÜCHLER, CEO DER SOB, LÄSST AN EINEM «SALONGESPRÄCH» IN GOLDAU TIEF HINTER DIE BAHNKULISSEN BLICKEN.

Von Josias Clavadetscher, Bote der Urschweiz

Die Schweizerische Südostbahn (SOB), einst auch als «Schwyzer Staatsbahn» verstanden, hat die Szene ziemlich aufgemischt. Vor allem seit sie mit dem kupferfarbenen «Treno Gottardo» die Strecke von Basel/Zürich nach Locarno anbietet. Und es ist noch nicht der Schluss der innovativen Entwicklung.

In einem «Salongespräch» in der Jugendstil-Villa «Mon Abri» in Goldau hat sich CEO Thomas Küchler den Fragen von Eisenbahn-Spezialisten gestellt und selber die ganze Entwicklung bis zur heutigen Situation erläutert. Küchler, nicht bekannt dafür, dass er keine deutlichen Worte wagt, hat tief aus dem Nähkästchen geplaudert.

Der «Treno Gottardo» ist, wie bekannt, ein Erfolgszug. Er ist möglich geworden dank dem neuen Fernverkehrskonzept des Bundes. In einem ersten Anlauf ist es der SOB damals noch nicht gelungen, aus ihrem bisherigen Raum hinaus zu expandieren und auf der Gotthard-Bergstrecke ein Angebot zu entwickeln. Zwei Jahre später kam der Impuls aus dem Kanton Uri, vom damaligen Ständerat Isidor Baumann. Es ging darum, nach der Neat-Eröffnung die Bergstrecke nicht zu vernachlässigen. Das Bundesamt für Verkehr hat die Basis dazu geschaffen, indem für den Fernverkehr eine «Mehrbahnenlösung» ermöglicht worden ist. Dies gegen den ursprünglichen Widerstand der SBB, die sogar zwischenzeitlich ein Vorkaufsrecht auf die Aktien der SOB einhandeln wollten.

SOB konnte ihr Geschäftsvolumen verdoppeln

Mit diesem Engagement im Fernverkehr kann die SOB ihr Geschäftsvolumen in etwa verdoppeln. Und zwar so, wie es frühere Erhebungen empfohlen haben, weil sonst das Unternehmen mit dem Stammnetz alleine längerfristig nicht überleben könne. Die Lösung sieht jetzt so aus, dass die SBB die Konzession für die Strecke halten, die Risiken tragen und die Einnahmen erhalten, die SOB aber operativ dieses Angebot vermarktet, betreibt und dafür pauschal entschädigt wird. Erst wenn die Erträge eine vereinbarte Quote übersteigen, ist die SOB zur Hälfte am Zusatzgewinn beteiligt.

Das könnte schon bald der Fall sein. Wie Küchler bestätigte, erfüllen die Frequenzen die Kalkulation mehr als genug. Man liege sogar dreissig Prozent über den Erwartungen. Die Nord-Rampe zwischen Arth-Goldau und Göschenen verzeichnet im Schnitt 3200 Passagiere pro Tag, der Scheiteltunnel Göschenen–Airolo 1150 Fahrgäste. Diese Nachfrage habe vielleicht mit dem Reiz des neuen Angebots zu tun, mit den attraktiven Zügen oder dem sogar international guten Echo. Erfreulich sei, dass über das ganze Startjahr hinweg die Frequenzen zugenommen haben.

Personalbestand auf 850 Mitarbeiter gestiegen

Das Ganze hat sich zudem personell stark ausgewirkt: Der Personalbestand der SOB ist von 600 auf heute 850 Mitarbeiter angewachsen, wobei sich im Austausch auch SOB- und SBB-Personal gegenseitig ablöst. In Erstfeld sind von der SOB zudem 25 neue Lokführer stationiert worden.

Allerdings ist man sich immer darüber im Klaren, dass die Verbindungen von Basel und Zürich her in das Tessin die eigentliche Bergstrecke quersubventionieren müssen. Anders gehe es nicht. Das Bekenntnis der SOB zu diesem Angebot ist aber eindeutig. Küchler betonte mit Blick auf die nächste Konzessionsvergabe: «Die Bergstrecke geben wir nicht mehr her.»

Doppelstöcker müssen eingesetzt werden

Das Angebot soll sogar laufend verbessert werden. Die SOB rechnet fest damit, dass sie im Fernverkehr künftig ebenfalls «Doppelstöcker» einsetzen müssen wird. Oder wenn je nach Witterung und Wochentag in einem Zug mit 12 Velo-Stellplätzen plötzlich 40 Fahrräder mittransportiert werden müssen, dann möchte man dies so lösen, dass Wagen kurzfristig modular umgebaut werden könnten.

Weiter wird die SOB in einem Monat mit dem Fahrplanwechsel die Verbindung von Bern via Zürich bis Chur anbieten. Dieses Angebot «Aare-Linth» wird dann nach dem Voralpen- Express und dem «Treno Gottardo» die dritte Linie unter einer eigenen Marke sein. All diese Verbindungen sind so konzipiert worden, dass sie jeweils an das touristische Angebot der bedienten Region anschliessen. Gerade auch die Tourismusanbieter in den Kantonen Schwyz, Uri und Tessin haben sich daran stark beteiligt. Dem Fahrgast kann so fast überall ein Gesamtpaket angeboten werden. Die Idee, welche dahinter stecke, sei, «dass ein Zug allein nicht ausreicht». Auch die Frequenzen des Voralpenexpress sind schon heute zu mehr als der Hälfte touristisch.

Fährt die SOB bald über die Grenzen?

Weil inzwischen feststeht, dass es gemäss Bundesrat weiterhin in der Schweiz «nur eine Fernverkehrskonzession geben wird, aber ein Mehrbahnenmodell», ist die Kooperation der drei grossen Bahnunternehmen faktisch vorgegeben. Dies eröffnet auch der SOB weitere Felder. Das heisst: Die Intercity-Netze sind zwar tabu, auf den Interregio-Strecken aber können sich die Privatbahnen tummeln. Die SOB werde so sicher in den Regionen Ostschweiz und Zentralschweiz die Augen offen halten. Denkbar ist auch eine Expansion vom schweizerischen Terrain aus über die Landesgrenzen hinweg ins benachbarte Ausland. Bahnfachleute erwähnen zu Beispiel die Linie Konstanz–Schaffhausen–Basel.


Quelle: Bote der Urschweiz, 18.11.2021

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